Notizen aus dem Eis 134 | Alle Vögel fliegen hoch?

Polarkolumne von Birgit Lutz

Alle Vögel fliegen hoch?

In diesem Frühjahr häufen sich ungewöhnliche Sichtungen in Spitzbergen: Gleich mehrere Vögel sind in der Nähe Longyearbyens gelandet, die noch nie oder sehr selten so weit im Norden aufgetaucht sind.

Es wird immer wärmer im Norden, das ist ja kein Geheimnis mehr. Der Norden erwärmt sich wegen der polaren Verstärkung sogar noch schneller als viele andere Regionen der Erde, davon aber ein anderes Mal. Wenn sich das Klima einer bestimmten Region verändert, finden das manche Tiere, die sich an die genau dort gegebenen Gegebenheiten gewöhnt haben, unter Umständen nicht so knorke, wieder andere aber schauen dann mal, ob es sich nicht auch hier leben lässt. Um es mal ganz unbiologisch auszudrücken.

 

Ob es an den gestiegenen Temperaturen liegt, dass sich nun gleich einige Vögel in kurzer Zeit ein bisschen weit nach Norden verflogen haben, das weiß man noch nicht – das kann man in einigen Jahren sehen, wenn die bis jetzt noch Einzelreisenden in den nächsten Jahren Anhang mitbringen und regelmäßig wiederkommen.

 

Mich als Vogelunkundlerin, die jahrelang gebraucht hat, sich die Namen und das Aussehen der in Spitzbergen wirklich nicht besonders vielen vorkommenden Vögel zu merken, besorgt nun, dass ich mir unter Umständen bald noch viel mehr neue Vögel werde merken müssen. Aber das wird mir dann wohl genauso viel Freude machen, wie schlussendlich die Beschäftigung mit den bereits vorhandenen Arten: Denn die kleinen gefiederten Gesellen sind ganz einfach faszinierende Geschöpfe, in ihrer Tapferkeit, ihrem Können, ihrer Ausdauer. Wenn man das einmal begreift, versteht man auch die durchaus fanatisch werdenden birder, von denen hier schon ein paar Mal die Rede war.

 

Wer ist denn aber nun nach Spitzbergen gekommen? Fangen wir mal an:

Ein spektakulärer Gast im Sommer 2024 war ein Seeadler. Er wurde über einen längeren Zeitraum mehrmals gesichtet, in diesem Sommer aber noch nicht wiedergesehen. Seeadler kommen in Spitzbergen nicht vor, das Klima passt ihnen nicht, und sie nisten gerne in hohen Bäumen, die es auf Spitzbergen ja nicht so häufig gibt.

 

Anfang Mai 2025 wurde eine männliche Samtente gesichtet – erst acht Mal zuvor ist diese Art in Spitzbergen gesehen worden. Das Samtentenmännchen ist schwarz mit einem weißen Fleck unter dem Auge; zuhause ist diese Art im Norden Europas und Asiens, sie mag die borealen Nadelwälder und Gebirgsseen. Ob es ihr in Spitzbergen auch gefällt, wird sich zeigen.

 

Als nächstes tauchte eine Schnatterente auf, die auf den ersten Blick für eine Stockente gehalten wurde, was bei dieser Ente oft der Fall ist. Tatsächlich aber hat sich eine Schnatterentenweibchen nach Longyearbyen getraut. Die Schnatterente kommt weit nördlich, beispielsweise auch in Island vor. Die Schnatterente war in Begleitung einer Pfeifente, die sich ansonsten auch bis nach Island oder Kamtschatka wagt, nach Spitzbergen normalerweise aber nicht.

 

Eine kleine Sensation war nun Anfang Juni die zweite jemals auf Spitzbergen gemachte Beobachtung eines Flussuferläufers, eine kleine Schnepfenart, die in Nordeuropa und Russland südlich der Tundragebiete brütet. Der Flussuferläufer ist stark gefährdet und ist eine der Arten, die vom Klimawandel besonders betroffen sind, weil ihr Verbreitungsgebiet stetig schrumpft und sich nach Norden verschiebt – das besagten Prognosen, die auch vorhersagten, dass potenziell neue Verbreitungsgebiete in Spitzbergen oder Nowaja Semlja entstehen könnten. Vielleicht tritt genau diese Prognose jetzt tatsächlich ein.

 

Noch nicht belegt ist die Sichtung eines Austernfischers, ein schwarz-weißer Vogel mit knallorangenem, langem Schnabel aus der Ordnung der Wat-, Möwen- und Alkenvögel. Nordsee-Anwohnern ist dieses schöne Tier wohl bekannt, das sich bis nach Nordnorwegen traut, weiter bisher aber nicht. Aber wer weiß, vielleicht ist diese Sichtung ja auch der Anfang von etwas ganz Neuem.

 

Eine ganze Menge, oder nicht?

Es bleibt spannend, was es dieses und in den kommenden Jahren noch alles Neues in Spitzbergen zu entdecken gibt. Ein Glück für diese Pioniere aber, die nach neuen Gebieten für ihre geplagten Arten suchen, dass sie wenigstens keinen Pass brauchen – sondern frei sind in ihren Flügen und Zügen, wie das Vögel nun mal sind.

Wir lesen uns im Juni!

Bärige Grüße,

Eure

Birgit Lutz




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