Alle Vögel
fliegen hoch?
In diesem
Frühjahr häufen sich ungewöhnliche Sichtungen in Spitzbergen: Gleich mehrere
Vögel sind in der Nähe Longyearbyens gelandet, die noch nie oder sehr selten so
weit im Norden aufgetaucht sind.
Es wird
immer wärmer im Norden, das ist ja kein Geheimnis mehr. Der Norden erwärmt sich
wegen der polaren Verstärkung sogar noch schneller als viele andere Regionen
der Erde, davon aber ein anderes Mal. Wenn sich das Klima einer bestimmten
Region verändert, finden das manche Tiere, die sich an die genau dort gegebenen
Gegebenheiten gewöhnt haben, unter Umständen nicht so knorke, wieder andere
aber schauen dann mal, ob es sich nicht auch hier leben lässt. Um es mal ganz
unbiologisch auszudrücken.
Ob es an
den gestiegenen Temperaturen liegt, dass sich nun gleich einige Vögel in kurzer
Zeit ein bisschen weit nach Norden verflogen haben, das weiß man noch nicht –
das kann man in einigen Jahren sehen, wenn die bis jetzt noch Einzelreisenden
in den nächsten Jahren Anhang mitbringen und regelmäßig wiederkommen.
Mich als
Vogelunkundlerin, die jahrelang gebraucht hat, sich die Namen und das Aussehen
der in Spitzbergen wirklich nicht besonders vielen vorkommenden Vögel zu
merken, besorgt nun, dass ich mir unter Umständen bald noch viel mehr neue
Vögel werde merken müssen. Aber das wird mir dann wohl genauso viel Freude
machen, wie schlussendlich die Beschäftigung mit den bereits vorhandenen Arten:
Denn die kleinen gefiederten Gesellen sind ganz einfach faszinierende
Geschöpfe, in ihrer Tapferkeit, ihrem Können, ihrer Ausdauer. Wenn man das
einmal begreift, versteht man auch die durchaus fanatisch werdenden birder,
von denen hier schon ein paar Mal die Rede war.
Wer ist
denn aber nun nach Spitzbergen gekommen? Fangen wir mal an:
Ein
spektakulärer Gast im Sommer 2024 war ein Seeadler. Er wurde über einen
längeren Zeitraum mehrmals gesichtet, in diesem Sommer aber noch nicht
wiedergesehen. Seeadler kommen in Spitzbergen nicht vor, das Klima passt ihnen
nicht, und sie nisten gerne in hohen Bäumen, die es auf Spitzbergen ja nicht so
häufig gibt.
Anfang Mai
2025 wurde eine männliche Samtente gesichtet – erst acht Mal zuvor ist diese
Art in Spitzbergen gesehen worden. Das Samtentenmännchen ist schwarz mit einem
weißen Fleck unter dem Auge; zuhause ist diese Art im Norden Europas und
Asiens, sie mag die borealen Nadelwälder und Gebirgsseen. Ob es ihr in
Spitzbergen auch gefällt, wird sich zeigen.
Als
nächstes tauchte eine Schnatterente auf, die auf den ersten Blick für eine
Stockente gehalten wurde, was bei dieser Ente oft der Fall ist. Tatsächlich
aber hat sich eine Schnatterentenweibchen nach Longyearbyen getraut. Die
Schnatterente kommt weit nördlich, beispielsweise auch in Island vor. Die
Schnatterente war in Begleitung einer Pfeifente, die sich ansonsten auch bis
nach Island oder Kamtschatka wagt, nach Spitzbergen normalerweise aber nicht.
Eine
kleine Sensation war nun Anfang Juni die zweite jemals auf Spitzbergen gemachte
Beobachtung eines Flussuferläufers, eine kleine Schnepfenart, die in Nordeuropa
und Russland südlich der Tundragebiete brütet. Der Flussuferläufer ist stark
gefährdet und ist eine der Arten, die vom Klimawandel besonders betroffen sind,
weil ihr Verbreitungsgebiet stetig schrumpft und sich nach Norden verschiebt –
das besagten Prognosen, die auch vorhersagten, dass potenziell neue
Verbreitungsgebiete in Spitzbergen oder Nowaja Semlja entstehen könnten.
Vielleicht tritt genau diese Prognose jetzt tatsächlich ein.
Noch nicht
belegt ist die Sichtung eines Austernfischers, ein schwarz-weißer Vogel mit
knallorangenem, langem Schnabel aus der Ordnung der Wat-, Möwen- und
Alkenvögel. Nordsee-Anwohnern ist dieses schöne Tier wohl bekannt, das sich bis
nach Nordnorwegen traut, weiter bisher aber nicht. Aber wer weiß, vielleicht
ist diese Sichtung ja auch der Anfang von etwas ganz Neuem.
Eine ganze
Menge, oder nicht?
Es bleibt
spannend, was es dieses und in den kommenden Jahren noch alles Neues in
Spitzbergen zu entdecken gibt. Ein Glück für diese Pioniere aber, die nach
neuen Gebieten für ihre geplagten Arten suchen, dass sie wenigstens keinen Pass
brauchen – sondern frei sind in ihren Flügen und Zügen, wie das Vögel nun mal
sind.
Wir lesen uns im Juni!
Bärige Grüße,
Eure
Birgit Lutz