Vor ein paar Tagen ist in Nordnorwegen eine kleine Sensation passiert: Zum allerersten Mal ist die Geburt eines kleinen (naja) Orca-Babys in freier Wildbahn beobachtet worden.
In den Wintermonaten kommen alljährlich Wale in die Fjorde nordöstlich von Tromsø, vor allem in den Kvænangen-Fjord östlich von Skjervøy. Neben vielen Orcas sind hier auch Buckel- und Finnwale anzutreffen, ab und an sogar Pottwale. Die Wale folgen den Heringsschwärmen, die sich aus der Barentssee hierhin zurückziehen.
Weil hier also nun so viele Orcas in einem überschaubaren Gebiet unterwegs sind, kommt seit einigen Jahren immer auch eine Mannschaft des Norwegian Orca Survey in die Fjorde, Wissenschaftler, die diverse Untersuchungen an den Tieren vornehmen. Unter anderem auch, ob die vielen Walbeobachtungsschiffe die Wale stören. Den Forschern ist in Zusammenarbeit mit einem solchen Walbeobachtungsboot am 2. November eine kleine Sensation gelungen.
In dem Bericht des Norwegian Orca Survey heißt es, die Wissenschaftler hätten am Morgen routinemäßig schon zwei Orcaschulen beobachtet und aus der Luft gezählt, als sie entlang der Küste der Laukøya auf eine dritte Gruppe stießen. Bei dieser Gruppe waren bereits sechs Beobachtungsboote (meiner Meinung nach deutlich zu viel) in der Nähe und auch Taucher im Wasser.
Um nicht noch das siebte Boot rund um die Wale zu werden, blieb das Boot des Survey zunächst auf Abstand, während sie mit akustischen Aufnahmen begannen und die Drohne starteten. Und sofort bemerkten die Wissenschaftler etwas Ungewöhnliches: Die Wale waren außergewöhnlich aktiv an der Oberfläche, bewegten sich mit vielen Spritzern in enger Formation. Sobald die Drohne über ihnen stabilisiert war, in etwa 50 Metern Höhe, bemerkten die Wissenschaftler, dass sich die Wale um etwas versammelten: ein, wie es schien, totes Kalb.
Gerade, als die Forscher dies erkannten, nahm Orca Channel, eines der Walbeobachtungsboote, per Funk Kontakt mit den Wissenschaftlern auf. Auch sie berichteten, ein vermeintlich totes Kalb gesehen zu haben, außerdem kurz zuvor große Mengen an Blut in den aufspritzenden Wasserfontänen – alles deutete also darauf hin, dass gerade eine Geburt stattgefunden hatte. Die Forscher des Survey funkten daraufhin alle Boote an und appellierten an sie, das Gebiet zu verlassen, damit die Wale Raum und Ruhe bekamen.
Die Arbeit des Surveys ist unter den Beobachtern bekannt, und so befolgten auch alle Boote diese Bitte – innerhalb weniger Minuten hatten alle Boote den Bereich verlassen. Einzig das kleine weiße Boot des Norwegian Orca Survey blieb in der Nähe. Und konnte einen sehr glücklichen Wendepunkt dokumentieren: Das Orcababy lebte! 15 Minuten lang etwa kämpfte es sich wohl in diese Welt hinein, was wahrscheinlich die intensive Aktivität der Gruppe erklärte, aber dann begann es, alleine zu schwimmen.
Die Mutter wurde als NKW-591 erkannt, ein bekanntes Weibchen, das erstmals 2013 identifiziert wurde. Von ihr weiß man, dass sie bereits mehrere Nachkommen zur Welt gebracht hat und daher eine erfahrene Mutter ist.
Im Laufe des restlichen Tages hielt das Survey-Boot einen Abstand von 300-500 Metern zu der Orcaschule ein. Die Forscher hörten den Walen weiterhin über ihre Mikrofone zu und beobachteten sie mit der Drohne, um so wenig wie möglich zu stören. Gleichzeitig informierten die Wissenschaftler weiterhin alle Beobachtungsboote, die sich der Gruppe nähern wollten. Bis zum Einbruch der Dunkelheit gegen 15 Uhr blieb das Boot in der Nähe der Gruppe.
Diese Beobachtung ist ein historisches Ereignis in der Walforschung: Es ist die erste Dokumentation einer Schwertwalgeburt und der ersten Lebensstunden des Neugeborenen in freier Wildbahn. Alle früheren Geburten waren immer in Gefangenschaft beobachtet worden, wenn das Weibchen ganz alleine ist. Hier aber konnte das Verhalten der gesamten Gruppe gesehen werden.
Die Forscher des Survey hoffen nun, die Gruppe in den kommenden Wochen wieder zu treffen, um das Überleben des Kalbs zu überwachen, denn die Dokumentation des Überlebens von Kälbern ist eines der Hauptziele in der langfristigen Orca-Beobachtung der Wissenschaftler.
Außerdem werden nun auch die Filmaufnahmen des Survey ausgewertet. Dabei sollen die beteiligten Individuen identifiziert werden und vor allem ihre Rollen bei der Unterstützung der Mutter und des Kalbs in seinen ersten Momenten. Die Ergebnisse sollen in einem wissenschaftlichen Artikel veröffentlicht werden.
In den Fjorden um Tromsö und Skjervoy ist seit einigen Jahren immer mehr Betrieb an Walbeobachtungsbooten. Umso schöner ist es, dass der Survey betonte, wie kooperativ sich all die Boote verhielten, um den Orcas Raum zu geben.
Nun warten wir mit Spannung auf den wissenschaftlichen Artikel, in dem das Verhalten der einzelnen Tiere analysiert wird! Und sind sehr gespannt, was wir bei unseren kommenden Reisen nach Nordnorwegen zu sehen bekommen werden!
Wir lesen uns im Dezember!
Polare Grüße,
Eure
Birgit Lutz

