polar-schiffsreisen.de - eine Marke von Leguan Reisen
Foto von Miriam Marquardt
Foto von Miriam Marquardt
Picture of Birgit Lutz

Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 122 | Auf Wiedersehen, Hvaldimir

Dies wird eine traurige Polarkolumne. Der Beluga Hvaldimir, der seit 2019 an der norwegischen Küste unterwegs war, ist tot.

Vor dieser Nachricht haben sich alle, die dem Weißwal mit Interesse und Zuneigung gefolgt waren, seit fünf Jahren gefürchtet; nun ist sie eingetreten: Vergangenen Samstag, am 31. August, wurde der etwa 15 Jahre alte Beluga Hvaldimir tot im Wasser gefunden. Nahe des Orts Risavika sah der 16 Jahre alte Storm Karolius Kristiansen, der mit seinem Vater in einem Boot unterwegs war, etwas im Wasser treiben, das sie anfänglich für ein gekentertes Boot hielten. Wie sich herausstellte, war es jedoch der leblose Hvaldimir.

Hvaldimir ist in dieser Kolumne schon ein paar Mal thematisiert worden, zu kurios war seine Geschichte. Ich wollte bald auch wieder ein Update schreiben, denn der Streit um sein Schicksal wurde immer bizarrer. Der Beluga war im Sommer 2019 bei Hammerfest aufgetaucht. Er trug damals ein Geschirr, auf dem „Ausrüstung Sankt Petersburg“ stand, was die Vermutungen, wo der Beluga herkommt, der sich normalerweise in größeren Gruppen viel weiter nördlich aufhält, völlig aus dem Ruder laufen ließ. Von einem Spion Putins war die Rede, was dem Wal schließlich in einer öffentlichen Abstimmung den Namen Hvaldimir einbrachte, zusammengesetzt aus dem norwegischen hval für Wal und dem Vornamen des russischen Präsidenten Putin.

In Hammerfest faszinierte der Wal die Menschen, er spielte mit Kindern und Hunden am Hafenbecken, tauchte einer jungen Frau ein Smartphone nach oben, spielte mit Bootsfahrern Ball. Er war offensichtlich an Menschen gewöhnt und konnte auch einige Tricks, was wahrscheinlicher macht, dass er aus einem Vergnügungspark ausgebüchst war.

Von Hammerfest aus bewegte er sich langsam, aber stetig nach Süden. Lang hielt er sich in dem Fjord auf, in dem im Winter immer Buckelwale und Orcas präsent sind, in Kvaenangen. Mit zeitlicher Verzögerung wurde sein Aufenthaltsort gepostet und mehrere Meeresbiologen folgten ihm regelmäßig. So wurde auch offensichtlich, dass der Wal, der anfangs recht dünn war, wieder gelernt hatte, selbst zu jagen. Er schien meist wohlgenährt und gut gelaunt, zu Spielen aufgelegt, und er schwamm schließlich bis in den Lysefjord nach Dänemark.

Weil er sich aber so gar nicht vor Menschen scheute, wurde bald die Sorge laut, dass er von einem Boot oder anderen Menschenkontakten verletzt werden konnte, als er sich immer weiter in den Süden und damit in belebtere Regionen begab. Eine Vereinigung mit Namen One Whale bildete sich, die vorhatte, ein eigenes Reservat für ihn in Nordnorwegen zu schaffen und Hvaldimir dort in Sicherheit zu bringen. Andere Meeresbiologen fanden dies einen ausgemachten Quatsch, denn solange es dem Tier offensichtlich gut gehe, müsse der Mensch nicht noch mehr einschreiten, als er es ohnehin schon getan hatte, so die Argumentation.

Diese Auseinandersetzung wurde immer erbitterter. Zuletzt hatten mehr als 70 Meeresbiologen aus aller Welt eine ausgearbeitete Expertenbeurteilung unterzeichnet, dass man den Wal einfach in Ruhe lassen und nirgendwo hin transportieren sollte. Die Initiatorin des Reservats-Gedanken jedoch ließ auch danach nicht locker.

Das ist nun alles hinfällig.

Storm und Meeresbiologen, die bereits vor Ort waren, zogen den toten Wal vergangenen Samstag in den Hafen von Risavika und hievten ihn an Land.

Warum ist Hvaldimir gestorben? Das ist nun die große Frage.

Denn die Meeresbiologen, die Hvaldimir ständig folgten, hatten ihn erst am Tag zuvor noch quicklebendig beobachtet. Und ein anderer Bootsfahrer, Dag Andfindsen, erzählte dem norwegischen Sender NRK, dass er Hvadimir sogar nur eine Stunde zuvor noch gesehen hatte, bis er ihn plötzlich eine seltsam lange Zeit an der Oberfläche hatte treiben sehen.

Traurige Bilder zeigen, wie der Wal in Risavika von dem Kran hängt. Auffällig an dem Foto sind kreisrunde Verletzungen des Wals, die aussehen wie Einschusslöcher. Der an seiner Schwanzflosse aufgehängte Wal blutet außerdem stark aus seiner Schnauze.

Mitglieder von One Whale und der in Oslo sitzenden Tierschutzvereinigung NOAH haben deswegen nun Strafantrag gestellt. Sie sind überzeugt, dass der Wal erschossen wurde. In den sozialen Medien haben sich daraufhin höhere Wellen gebildet, als jemals an die norwegische Küste branden. Auf der einen Seite ist man überzeugt, dass Hvaldimir eiskalt abgeschossen wurde, auf der anderen ist man entsetzt, dass ein solcher Gedanke auch nur gedacht werden könne. Die Autoritäten bitten um Geduld und keine Spekulationen; man solle das Ergebnis der Obduktion und den offiziellen Bericht abwarten. Der lässt nun bald eine Woche auf sich warten.

Der Tod Hvaldimirs weckt traurige Erinnerungen an den Fall des Walross-Weibchens Freya, das sich ebenfalls weit in den Süden vorgewagt hatte: Von 2019 an war sie in Deutschland, Dänemark, den Niederlanden, Schottland und zuletzt Norwegen unterwegs. Auch Freya weckte überall große Aufmerksamkeit, auch weil sich die 600 Kilo schwere Dame auf Boote legte, die das nicht immer gut aushielten. Im Oslofjord wurde Freya nach ihrer drei Jahre langen Reise durch den Süden am 14. August 2022 im Auftrag der Fischereibehörde getötet, weil sie nach Angaben der Behörde Gefahr für Boote und Menschen darstellte. Eine Umsiedlung war hier zwar erwogen, aber sofort verworfen worden. Das Tier Freya hatte in der Welt der Menschen schlicht gestört, man hätte irgendwie mit ihr rechnen, mit ihr umgehen müssen, und das wollte man nicht. Einen natürlichen Tod wäre sie noch lange nicht gestorben.

Auch Hvaldimir hätte noch lange nicht sterben müssen. Belugas in freier Wildbahn werden 35-50 Jahre alt, auch 70 Jahre kommen vor. Hvaldimir war also noch ein recht junges Tier. Warum auch immer er nun tot gefunden wurde: Es ist traurig, dass auch er in dieser Menschenwelt nicht länger leben durfte. Der weiße Wal hat in seiner Zeit an der Küste unzählige Menschen erfreut, in den sozialen Medien folgten Interessierte aus aller Welt dem Weg des Belugas. Ob er selbst glücklich war, nach einem anfänglichen Leben in einem Vergnügungspark oder als Spion, und nun seit Jahren schon ganz allein, wer weiß das schon.
Der Mensch lässt eben nicht mehr viel Platz neben sich.

Bis in zwei Wochen!

Eure
Birgit Lutz

Teilen :

Twitter
Telegram
WhatsApp
  • Alle Beiträge
  • News
  • Polar-Kolumne
Alle Beiträge
  • Alle Beiträge
  • News
  • Polar-Kolumne
Polar-Kolumne

Notizen aus dem Eis 121 | Wie der Stockfisch auf Reisen ging

Wer jetzt in südlichen Ländern urlaubt, stolpert in mancher Speisekarte vielleicht über Gerichte wie bacalao in Portugal oder stoccafisso in Italien. Dahinter steckt eine alte ...
ZUM ARTIKEL »
Polar-Kolumne

Notizen aus dem Eis 120 | Schneehasen

Der Schneehase kann zwar auch im hochalpinen Gelände vorkommen, ist aber auf keinen Fall mit dem Skihasen zu verwechseln! Spaß beiseite. Heute schauen wir uns ...
ZUM ARTIKEL »

Schreibe einen Kommentar

Weitere Notizen

Eisberg Nordische Notizen Birgit Lutz

Notizen aus dem Eis 1

Jede Woche eine kurze Reise Viele Orte werden von vielen Menschen einmal besucht. Weil sie schön sind, weil sie berühmt sind. Weil man sie irgendwie

Arktis Vortragsreihe

Vortragsreihe von Birgit Lutz und Rolf Stange

Die Polarexperten Birgit Lutz und Rolf Stange werden  in den kommenden Wochen jeweils mittwochs eine Vortragsreihe Arktis durchführen. Zu einer Zeit in der unsere Reisetätigkeit

Notizen aus dem Eis 122 | Auf Wiedersehen, Hvaldimir

Dies wird eine traurige Polarkolumne. Der Beluga Hvaldimir, der seit 2019 an der norwegischen Küste unterwegs war, ist tot.

Vor dieser Nachricht haben sich alle, die dem Weißwal mit Interesse und Zuneigung gefolgt waren, seit fünf Jahren gefürchtet; nun ist sie eingetreten: Vergangenen Samstag, am 31. August, wurde der etwa 15 Jahre alte Beluga Hvaldimir tot im Wasser gefunden. Nahe des Orts Risavika sah der 16 Jahre alte Storm Karolius Kristiansen, der mit seinem Vater in einem Boot unterwegs war, etwas im Wasser treiben, das sie anfänglich für ein gekentertes Boot hielten. Wie sich herausstellte, war es jedoch der leblose Hvaldimir.

Hvaldimir ist in dieser Kolumne schon ein paar Mal thematisiert worden, zu kurios war seine Geschichte. Ich wollte bald auch wieder ein Update schreiben, denn der Streit um sein Schicksal wurde immer bizarrer. Der Beluga war im Sommer 2019 bei Hammerfest aufgetaucht. Er trug damals ein Geschirr, auf dem „Ausrüstung Sankt Petersburg“ stand, was die Vermutungen, wo der Beluga herkommt, der sich normalerweise in größeren Gruppen viel weiter nördlich aufhält, völlig aus dem Ruder laufen ließ. Von einem Spion Putins war die Rede, was dem Wal schließlich in einer öffentlichen Abstimmung den Namen Hvaldimir einbrachte, zusammengesetzt aus dem norwegischen hval für Wal und dem Vornamen des russischen Präsidenten Putin.

In Hammerfest faszinierte der Wal die Menschen, er spielte mit Kindern und Hunden am Hafenbecken, tauchte einer jungen Frau ein Smartphone nach oben, spielte mit Bootsfahrern Ball. Er war offensichtlich an Menschen gewöhnt und konnte auch einige Tricks, was wahrscheinlicher macht, dass er aus einem Vergnügungspark ausgebüchst war.

Von Hammerfest aus bewegte er sich langsam, aber stetig nach Süden. Lang hielt er sich in dem Fjord auf, in dem im Winter immer Buckelwale und Orcas präsent sind, in Kvaenangen. Mit zeitlicher Verzögerung wurde sein Aufenthaltsort gepostet und mehrere Meeresbiologen folgten ihm regelmäßig. So wurde auch offensichtlich, dass der Wal, der anfangs recht dünn war, wieder gelernt hatte, selbst zu jagen. Er schien meist wohlgenährt und gut gelaunt, zu Spielen aufgelegt, und er schwamm schließlich bis in den Lysefjord nach Dänemark.

Weil er sich aber so gar nicht vor Menschen scheute, wurde bald die Sorge laut, dass er von einem Boot oder anderen Menschenkontakten verletzt werden konnte, als er sich immer weiter in den Süden und damit in belebtere Regionen begab. Eine Vereinigung mit Namen One Whale bildete sich, die vorhatte, ein eigenes Reservat für ihn in Nordnorwegen zu schaffen und Hvaldimir dort in Sicherheit zu bringen. Andere Meeresbiologen fanden dies einen ausgemachten Quatsch, denn solange es dem Tier offensichtlich gut gehe, müsse der Mensch nicht noch mehr einschreiten, als er es ohnehin schon getan hatte, so die Argumentation.

Diese Auseinandersetzung wurde immer erbitterter. Zuletzt hatten mehr als 70 Meeresbiologen aus aller Welt eine ausgearbeitete Expertenbeurteilung unterzeichnet, dass man den Wal einfach in Ruhe lassen und nirgendwo hin transportieren sollte. Die Initiatorin des Reservats-Gedanken jedoch ließ auch danach nicht locker.

Das ist nun alles hinfällig.

Storm und Meeresbiologen, die bereits vor Ort waren, zogen den toten Wal vergangenen Samstag in den Hafen von Risavika und hievten ihn an Land.

Warum ist Hvaldimir gestorben? Das ist nun die große Frage.

Denn die Meeresbiologen, die Hvaldimir ständig folgten, hatten ihn erst am Tag zuvor noch quicklebendig beobachtet. Und ein anderer Bootsfahrer, Dag Andfindsen, erzählte dem norwegischen Sender NRK, dass er Hvadimir sogar nur eine Stunde zuvor noch gesehen hatte, bis er ihn plötzlich eine seltsam lange Zeit an der Oberfläche hatte treiben sehen.

Traurige Bilder zeigen, wie der Wal in Risavika von dem Kran hängt. Auffällig an dem Foto sind kreisrunde Verletzungen des Wals, die aussehen wie Einschusslöcher. Der an seiner Schwanzflosse aufgehängte Wal blutet außerdem stark aus seiner Schnauze.

Mitglieder von One Whale und der in Oslo sitzenden Tierschutzvereinigung NOAH haben deswegen nun Strafantrag gestellt. Sie sind überzeugt, dass der Wal erschossen wurde. In den sozialen Medien haben sich daraufhin höhere Wellen gebildet, als jemals an die norwegische Küste branden. Auf der einen Seite ist man überzeugt, dass Hvaldimir eiskalt abgeschossen wurde, auf der anderen ist man entsetzt, dass ein solcher Gedanke auch nur gedacht werden könne. Die Autoritäten bitten um Geduld und keine Spekulationen; man solle das Ergebnis der Obduktion und den offiziellen Bericht abwarten. Der lässt nun bald eine Woche auf sich warten.

Der Tod Hvaldimirs weckt traurige Erinnerungen an den Fall des Walross-Weibchens Freya, das sich ebenfalls weit in den Süden vorgewagt hatte: Von 2019 an war sie in Deutschland, Dänemark, den Niederlanden, Schottland und zuletzt Norwegen unterwegs. Auch Freya weckte überall große Aufmerksamkeit, auch weil sich die 600 Kilo schwere Dame auf Boote legte, die das nicht immer gut aushielten. Im Oslofjord wurde Freya nach ihrer drei Jahre langen Reise durch den Süden am 14. August 2022 im Auftrag der Fischereibehörde getötet, weil sie nach Angaben der Behörde Gefahr für Boote und Menschen darstellte. Eine Umsiedlung war hier zwar erwogen, aber sofort verworfen worden. Das Tier Freya hatte in der Welt der Menschen schlicht gestört, man hätte irgendwie mit ihr rechnen, mit ihr umgehen müssen, und das wollte man nicht. Einen natürlichen Tod wäre sie noch lange nicht gestorben.

Auch Hvaldimir hätte noch lange nicht sterben müssen. Belugas in freier Wildbahn werden 35-50 Jahre alt, auch 70 Jahre kommen vor. Hvaldimir war also noch ein recht junges Tier. Warum auch immer er nun tot gefunden wurde: Es ist traurig, dass auch er in dieser Menschenwelt nicht länger leben durfte. Der weiße Wal hat in seiner Zeit an der Küste unzählige Menschen erfreut, in den sozialen Medien folgten Interessierte aus aller Welt dem Weg des Belugas. Ob er selbst glücklich war, nach einem anfänglichen Leben in einem Vergnügungspark oder als Spion, und nun seit Jahren schon ganz allein, wer weiß das schon.
Der Mensch lässt eben nicht mehr viel Platz neben sich.

Bis in zwei Wochen!

Eure
Birgit Lutz