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Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 121 | Wie der Stockfisch auf Reisen ging

Wer jetzt in südlichen Ländern urlaubt, stolpert in mancher Speisekarte vielleicht über Gerichte wie bacalao in Portugal oder stoccafisso in Italien. Dahinter steckt eine alte Geschichte.

Wie ist es zu erklären, dass in südlichen Ländern, die doch selbst am Meer liegen und Fischfang betreiben, schon lange ein Gericht Tradition hat, für die man den Fisch weit aus dem Norden herbei transportieren muss? Warum trocknen die Südländer nicht ihren eigenen Fisch, warum trocknen sie ihn überhaupt, wo Fisch doch am besten schmeckt, wenn man ihn einfach mit Öl und Zitrone zubereitet und einen kühlen Weißwein dazu reicht? Fragen über Fragen! Schauen wir mal.

Bei den frühen Entdeckungsreisen kam es zu manch unerwarteter Wendung oder Entdeckung – und der Stockfisch ist eine davon. Eine Wendung, die bis heute noch kräftig fortwirkt! 1431 wollte der venezianische Kaufmann und Kapitän Pietro Querini von Griechenland nach Belgien reisen. Er stach mit 68 Mann auf drei Handelsschiffen in Iraklion auf Kreta in See, sein Ziel war Brügge in Flandern. An Bord hatten die Schiffe Weinfässer und Gewürze. Nun wollte aber die Natur nicht so mitspielen, Wettervorhersagen gab es noch nicht, und so gerieten die Schiffe vor der Westküste Frankreichs in einen heftigen Sturm. Sie kamen vom Kurs ab, trieben weiter nach Norden, kämpften und viele verloren ihr Leben. Im Januar 1432 strandeten elf Überlebende auf den Schären vor der Lofoteninsel Sandøya, wo es noch einen Monat dauern sollte, bis sie von Einheimischen gefunden und damit gerettet wurden.

Mit diesem Seefahrerdrama beginnt eine wunderbare Geschichte, eine Verbindung zwischen zwei Völkern und Kulturen, die geographisch eigentlich nicht weit voneinander entfernt waren, immerhin war alles Europa. Doch sah es in den Ländern zu dieser Zeit sehr unterschiedlich aus. Der Adel in Venedig, dem Querini angehörte, feierte glänzende Feste, die Fischer in Norwegen lebten ein sehr einfaches Leben, das von Kristall und Stuck und Ausschweifungen nie gehört hatte. Die Einwohner des Dorfs Røst nahmen die Schiffbrüchigen jedoch mit einer solchen Herzlichkeit und Wärme auf, die die Italiener nichts als preisen konnten, so sehr sogar, dass sie die Insel in ihren Erzählungen später „l´isola dei Santi“ nannten, die Insel der Heiligen.

Drei Monate verbrachten die Italiener auf der Lofoteninsel. Querini und zwei seiner Mitreisenden schrieben die Erlebnisse nieder, und wenn man liest, was Querini aufgezeichnet hat, erinnert einen das beinahe an Nansens Berichte aus Grönland. Denn den Berichten ist etwas Wichtiges gemein: Der „zivilisiertere“ Besucher blickt nicht auf seine Gastgeber herunter, die ja lediglich in anderen Bereichen brillieren. Im Gegenteil: Querini beschreibt das Leben und die Menschen so liebevoll und auch voller Achtung, wie das später auch Nansen in Grönland getan hat. Keine Spur von einem herablassenden Ton, wie er in anderen, auch viel späteren Berichten über andere, auf andere Weise entwickelte Völker und Nationen häufig zu finden ist.

Der Reisebericht ist auch deswegen so wertvoll, weil er einer der wenigen existierenden Augenzeugenberichte aus dem Mittelalter ist, in dem die Küstenkultur Norwegens beschrieben wird. Die Italiener zeichnen ein einfaches, aber glückliches Volk; auf einer Seite der Universität von Tromsö habe ich folgenden Ausschnitt gefunden:

„Vom dritten Februar bis zum 14. Mai 1432 befanden wir uns im ersten Kreis des Paradieses, den Ländern Italiens zur Schmach und zur Schande. (…) Die Männer auf diesen Inseln sind die makellosesten Menschen, die es gibt, und sie haben ein schönes Aussehen; das Gleiche gilt für ihre Frauen. Sie sind so arglos, dass sie sich nicht darum kümmern, irgendetwas abzuriegeln; nicht einmal auf ihre Frauen geben sie Acht. Und das war leicht zu sehen, denn in dem gleichen Raum, in dem der Mann mit seiner Frau und den Kindern schlief, wohnten auch wir, und vor unseren Augen zogen sie sich nackt aus, wenn sie schlafen gehen wollten“.

Was hat das alles aber denn nun mit Stockfisch zu tun? Nun, die Schiffbrüchigen hatten natürlich Hunger. Und was gab es auf den Lofoten damals schon zu essen? Natürlich den Stockfisch, den getrockneten Kabeljau. Die Seeleute aßen also Stockfisch, viel Stockfisch, und wenn man ausgehungert ist, schmeckt er wahrscheinlich sehr gut (man merkt vielleicht, ich mag keinen Stockfisch, aber viele Menschen lieben ihn ja, also soll ich kein Maßstab sein).

Als Querini Mitte Mail 1432, nach drei Monaten auf den Lofoten wieder aufbrach gen Süden, bekam er von den Einwohnern Røsts auch noch Proviant mit: Viel Stockfisch. Und so wurde Querini zum ersten Importeur von Stockfisch nach Italien. Sagt die Legende. Ob er wirklich der erste war, kann bezweifelt werden, aber durch Querini bekam der Stockfischhandel zwischen den beiden Ländern auf jeden Fall mehr Schwung.

Warum aber schauten sich die Italiener und Portugiesen nicht einfach ab, wie man Stockfisch herstellte? Ganz einfach: Um den Kabeljau zu Stockfisch zu verarbeiten, braucht es das Klima der Lofoten. Nicht zu warm, nicht zu kalt, nicht zu feucht. Woanders also geht das nicht, der Fisch schimmelt oder fault und wird kein richtiger Stockfisch. Alle Fragen beantwortet!

Bald 600 Jahre ist diese Geschichte nun her, aber noch immer bleibt sie lebendig, in jüngster Zeit lebt sie gar wieder auf: 1932 wurde Querini auf Sandøya eine Statue errichtet, 2012 eine von dem norwegischen Komponisten Sommerro verfasste Querini-Oper uraufgeführt und erst 2022 die kulturelle Vereinigung „Via Querenissima“ mit vielen Mitgliedern aus Italien, Norwegen, Griechenland und Schweden gegründet, es gibt nun auch einen Film über Querini. Und auch die Freundschaft zwischen den Italienern und den Bewohnern der kleinen norwegischen Insel bleibt bestehen.

Wer also nach neuen Urlaubszielen im Norden wie Süden sucht, der kann sich ja auch mal an die einzelnen Stationen der Via Querenissima begeben. Unbedingt Stockfisch essen muss man dabei ja nicht!

Bis in zwei Wochen!

Eure
Birgit Lutz

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Bei den frühen Entdeckungsreisen kam es zu manch unerwarteter Wendung oder Entdeckung – und der Stockfisch ist eine davon. Eine Wendung, die bis heute noch kräftig fortwirkt! 1431 wollte der venezianische Kaufmann und Kapitän Pietro Querini von Griechenland nach Belgien reisen. Er stach mit 68 Mann auf drei Handelsschiffen in Iraklion auf Kreta in See, sein Ziel war Brügge in Flandern. An Bord hatten die Schiffe Weinfässer und Gewürze. Nun wollte aber die Natur nicht so mitspielen, Wettervorhersagen gab es noch nicht, und so gerieten die Schiffe vor der Westküste Frankreichs in einen heftigen Sturm. Sie kamen vom Kurs ab, trieben weiter nach Norden, kämpften und viele verloren ihr Leben. Im Januar 1432 strandeten elf Überlebende auf den Schären vor der Lofoteninsel Sandøya, wo es noch einen Monat dauern sollte, bis sie von Einheimischen gefunden und damit gerettet wurden.

Mit diesem Seefahrerdrama beginnt eine wunderbare Geschichte, eine Verbindung zwischen zwei Völkern und Kulturen, die geographisch eigentlich nicht weit voneinander entfernt waren, immerhin war alles Europa. Doch sah es in den Ländern zu dieser Zeit sehr unterschiedlich aus. Der Adel in Venedig, dem Querini angehörte, feierte glänzende Feste, die Fischer in Norwegen lebten ein sehr einfaches Leben, das von Kristall und Stuck und Ausschweifungen nie gehört hatte. Die Einwohner des Dorfs Røst nahmen die Schiffbrüchigen jedoch mit einer solchen Herzlichkeit und Wärme auf, die die Italiener nichts als preisen konnten, so sehr sogar, dass sie die Insel in ihren Erzählungen später „l´isola dei Santi“ nannten, die Insel der Heiligen.

Drei Monate verbrachten die Italiener auf der Lofoteninsel. Querini und zwei seiner Mitreisenden schrieben die Erlebnisse nieder, und wenn man liest, was Querini aufgezeichnet hat, erinnert einen das beinahe an Nansens Berichte aus Grönland. Denn den Berichten ist etwas Wichtiges gemein: Der „zivilisiertere“ Besucher blickt nicht auf seine Gastgeber herunter, die ja lediglich in anderen Bereichen brillieren. Im Gegenteil: Querini beschreibt das Leben und die Menschen so liebevoll und auch voller Achtung, wie das später auch Nansen in Grönland getan hat. Keine Spur von einem herablassenden Ton, wie er in anderen, auch viel späteren Berichten über andere, auf andere Weise entwickelte Völker und Nationen häufig zu finden ist.

Der Reisebericht ist auch deswegen so wertvoll, weil er einer der wenigen existierenden Augenzeugenberichte aus dem Mittelalter ist, in dem die Küstenkultur Norwegens beschrieben wird. Die Italiener zeichnen ein einfaches, aber glückliches Volk; auf einer Seite der Universität von Tromsö habe ich folgenden Ausschnitt gefunden:

„Vom dritten Februar bis zum 14. Mai 1432 befanden wir uns im ersten Kreis des Paradieses, den Ländern Italiens zur Schmach und zur Schande. (…) Die Männer auf diesen Inseln sind die makellosesten Menschen, die es gibt, und sie haben ein schönes Aussehen; das Gleiche gilt für ihre Frauen. Sie sind so arglos, dass sie sich nicht darum kümmern, irgendetwas abzuriegeln; nicht einmal auf ihre Frauen geben sie Acht. Und das war leicht zu sehen, denn in dem gleichen Raum, in dem der Mann mit seiner Frau und den Kindern schlief, wohnten auch wir, und vor unseren Augen zogen sie sich nackt aus, wenn sie schlafen gehen wollten“.

Was hat das alles aber denn nun mit Stockfisch zu tun? Nun, die Schiffbrüchigen hatten natürlich Hunger. Und was gab es auf den Lofoten damals schon zu essen? Natürlich den Stockfisch, den getrockneten Kabeljau. Die Seeleute aßen also Stockfisch, viel Stockfisch, und wenn man ausgehungert ist, schmeckt er wahrscheinlich sehr gut (man merkt vielleicht, ich mag keinen Stockfisch, aber viele Menschen lieben ihn ja, also soll ich kein Maßstab sein).

Als Querini Mitte Mail 1432, nach drei Monaten auf den Lofoten wieder aufbrach gen Süden, bekam er von den Einwohnern Røsts auch noch Proviant mit: Viel Stockfisch. Und so wurde Querini zum ersten Importeur von Stockfisch nach Italien. Sagt die Legende. Ob er wirklich der erste war, kann bezweifelt werden, aber durch Querini bekam der Stockfischhandel zwischen den beiden Ländern auf jeden Fall mehr Schwung.

Warum aber schauten sich die Italiener und Portugiesen nicht einfach ab, wie man Stockfisch herstellte? Ganz einfach: Um den Kabeljau zu Stockfisch zu verarbeiten, braucht es das Klima der Lofoten. Nicht zu warm, nicht zu kalt, nicht zu feucht. Woanders also geht das nicht, der Fisch schimmelt oder fault und wird kein richtiger Stockfisch. Alle Fragen beantwortet!

Bald 600 Jahre ist diese Geschichte nun her, aber noch immer bleibt sie lebendig, in jüngster Zeit lebt sie gar wieder auf: 1932 wurde Querini auf Sandøya eine Statue errichtet, 2012 eine von dem norwegischen Komponisten Sommerro verfasste Querini-Oper uraufgeführt und erst 2022 die kulturelle Vereinigung „Via Querenissima“ mit vielen Mitgliedern aus Italien, Norwegen, Griechenland und Schweden gegründet, es gibt nun auch einen Film über Querini. Und auch die Freundschaft zwischen den Italienern und den Bewohnern der kleinen norwegischen Insel bleibt bestehen.

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