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Birgit Lutz

In ihrer Polarkolumne, die ab 2021 immer freitags auf unserer Homepage neu erscheint, schreibt die Expeditionsleiterin und Autorin Birgit Lutz über alle Themenfelder der Polarregionen - von großen Erlebnissen und kleinen Momenten auf eigenen Reisen über aktuelle Entwicklungen in Arktis und Antarktis bis hin zu praktischen Informationen für Ihre Reisevorbereitung oder Empfehlungen zur Polarliteratur.

Notizen aus dem Eis 118 | Ein Schatz in Buchform

Vor ein paar Jahren hatte ich eine überraschende Begegnung auf einer kleinen Insel in der russischen Arktis. Jetzt gibt es ein erstaunliches Buch, das genau damals seinen Anfang nahm.

Als unsere Welt noch nicht ganz so verrückt war wie heute, konnte man eine Zeitlang mit einigen wenigen Schiffen das Archipel Franz Joseph Land besuchen, das zu Russland gehört. Die nördlichsten Inseln der Welt sind das. Faszinierende, vergletscherte Inseln, die meisten liegen wie Eislinsen im Wasser schwimmend da, von allen Seiten gleitet das Eis an ihnen herunter.

Nur an manchen Stellen gibt das Eis ein bisschen Land frei, wo sich prompt die stärksten aller kleinen Pflanzen ansiedeln. Es sind wundervolle Inseln, ganz anders als Spitzbergen, wilder, verschlossener, geheimnisvoller. 1873 von den Österreichern entdeckt – deswegen heißen die Inseln noch immer nach dem Kaiser Franz Joseph Land – waren sie lange unerreichbar und dann Sperrgebiet. Einige spektakuläre Expeditionen haben ihre Geschichte in dieses Land hineingeschrieben, aber die allermeisten Stellen dieser Inseln hat wohl nie ein Mensch betreten. Und das spürt man.

Auf einer der Inseln, der Hooker Insel, war bis 1959 die Sedow Station in Betrieb, eine militärische Wetterstation. Die Station wurde verlassen und geriet zu einem der bizarrsten lost places der Erde. 2007, als ich das erste Mal dort anlanden konnte, ragten graue, in sich zusammenfallende Holzhäuser in den Himmel, wir mussten schreiend und Steine gegen die Wände werfend umherlaufen, um sicherzugehen, dass sich kein Bär in einem der Gebäude zum Schlafen gelegt hatte.

In den Häusern standen die Kaffeetassen noch auf dem Tisch, es war über lange Jahre keine Menschenseele hier gewesen, hier konnte niemand randalieren, wer an einen solchen Ort gelangte, hatte dafür keinen Sinn. Der Ort packte und faszinierte mich.

Einige Jahre später kam langsam wieder Bewegung in die Station. Die Russen räumten den enormen Unrat rings um die Gebäude auf, setzten Häuser wieder in Stand, installierten gar eine Post. Die Station wurde wieder bemannt, nun aber als Museumsstation. 2012 sahen wir schon von Weitem, dass Rauch aus einem Kamin aufstieg. Als wir an Land gingen, begrüßte uns die Besatzung, und zu meiner riesigen Überraschung war eine deutsche Frau darunter: Barbara Schennerlein. Sie gehörte zu dem Trupp, der die Hütten inventarisieren und das Museum ein Stück weiterbringen sollte. Die ehemalige IT-Fachfrau tat das aus bloßem Interesse. Mit den ganzen Männern blieb sie den Sommer über auf diesem kleinen Stückchen Land am absoluten Ende der Welt, in einer Holzhütte. Respekt!

Und nun kürzlich, so klein ist die Welt, las ich von einem Buch über das Zeppelin-Arktis-Projekt. Auf dem Titel ist der Zeppelin abgebildet, unverkennbar über Franz Joseph Land. Elektrisiert las ich weiter, das Foto kannte ich, aber man liest doch so selten etwas über Franz Joseph Land, heutzutage noch viel weniger als noch vor einigen Jahren.

Geschrieben hat das Buch: Barbara Schennerlein, die Frau aus der Sedow Station, die das eigentlich gar nicht vorgehabt hatte. Eigentlich, so sagt sie selbst, wollte sie die Geschichte dieser Station aufschreiben, die das auch wirklich wert wäre. Dabei allerdings stieß sie auf den Besuch des Zeppelin, der am 27. Juli 1931 auf seiner Arktisfahrt hier in der Tikhaya Bukhta, der Stillen Bucht der Hooker Insel, wasserte. Was hatte es mit dieser Arktisfahrt auf sich? Schennerlein begann also, sich nicht in die Sedow Station, sondern in die Geschichte dieser Arktisfahrt zu versenken. Dabei hat sie unzählige Archive durchforstet, in Deutschland, Russland und den USA. Entstanden ist ein Buch, das die Geschichte dieser Arktisfahrt vom großen Zusammenhang bis ins allerkleinste Detail beschreibt, und das Ganze auch noch reich bebildert.

Es ist kein Buch, das man auf einmal durchlesen wird, denn es geht in vielen Etappen um die Entdeckungsgeschichte der Inseln, den generellen Stand der arktischen Entdeckung zur damaligen Zeit, um die politischen Verquickungen der Planung und Umsetzung der Arktisfahrt und Vieles, Vieles mehr. Es ist ein unfassbar reichhaltiges, umfassend recherchiertes Buch, das, so denke ich, für Arktis-Enthusiasten, für Interessierte an der Luftfahrtgeschichte der Arktis von A bis Z, von Amundsen bis Zeppelin, ein echter Leckerbissen ist. Barbara Schennerlein hat hier das Ergebnis jahrelanger, sehr aufwändiger Recherchearbeit kondensiert in Buchform gebracht und man merkt dem Buch an, wie viel Arbeit das war.

Die Geschichte ist ein spannender Bericht, von der Planung unter der Gesellschaft Aeroarctic, bis zur Umsetzung im anspruchsvollsten Gebiet der Erde. Hinterlassen hat diese Expedition unzählige Luftaufnahmen, und viele davon sind in dem Buch abgebildet.

Es ist der Verdienst Schennerleins, das all diese Informationen nicht nur in dem Buch gesammelt, sondern dadurch überhaupt erhalten sind. Denn viele ihrer Archivfunde wären irgendwann vielleicht ganz verschwunden, in Schachteln, in Kellern, und dann für immer irgendwo.

Mit dem Buch kann man eine Reise unternehmen, in eine Zeit, die vergangen ist, in ein Land, das es noch gäbe, aber aufs Neue unerreichbar geworden ist. Die Geschichte in dem Buch, sie schreibt sich heute noch fort. Wem am Strand zu heiß wird, der findet hier Abkühlung.

Wer es lesen will:
Barbara Schennerlein: Aeroarctic. Das Zeppelin-Arktis-Projekt. Erschienen in der edition winterwork.

Bis in zwei Wochen!

Eure
Birgit Lutz

Foto: Birgit Lutz
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Nur an manchen Stellen gibt das Eis ein bisschen Land frei, wo sich prompt die stärksten aller kleinen Pflanzen ansiedeln. Es sind wundervolle Inseln, ganz anders als Spitzbergen, wilder, verschlossener, geheimnisvoller. 1873 von den Österreichern entdeckt – deswegen heißen die Inseln noch immer nach dem Kaiser Franz Joseph Land – waren sie lange unerreichbar und dann Sperrgebiet. Einige spektakuläre Expeditionen haben ihre Geschichte in dieses Land hineingeschrieben, aber die allermeisten Stellen dieser Inseln hat wohl nie ein Mensch betreten. Und das spürt man.

Auf einer der Inseln, der Hooker Insel, war bis 1959 die Sedow Station in Betrieb, eine militärische Wetterstation. Die Station wurde verlassen und geriet zu einem der bizarrsten lost places der Erde. 2007, als ich das erste Mal dort anlanden konnte, ragten graue, in sich zusammenfallende Holzhäuser in den Himmel, wir mussten schreiend und Steine gegen die Wände werfend umherlaufen, um sicherzugehen, dass sich kein Bär in einem der Gebäude zum Schlafen gelegt hatte.

In den Häusern standen die Kaffeetassen noch auf dem Tisch, es war über lange Jahre keine Menschenseele hier gewesen, hier konnte niemand randalieren, wer an einen solchen Ort gelangte, hatte dafür keinen Sinn. Der Ort packte und faszinierte mich.

Einige Jahre später kam langsam wieder Bewegung in die Station. Die Russen räumten den enormen Unrat rings um die Gebäude auf, setzten Häuser wieder in Stand, installierten gar eine Post. Die Station wurde wieder bemannt, nun aber als Museumsstation. 2012 sahen wir schon von Weitem, dass Rauch aus einem Kamin aufstieg. Als wir an Land gingen, begrüßte uns die Besatzung, und zu meiner riesigen Überraschung war eine deutsche Frau darunter: Barbara Schennerlein. Sie gehörte zu dem Trupp, der die Hütten inventarisieren und das Museum ein Stück weiterbringen sollte. Die ehemalige IT-Fachfrau tat das aus bloßem Interesse. Mit den ganzen Männern blieb sie den Sommer über auf diesem kleinen Stückchen Land am absoluten Ende der Welt, in einer Holzhütte. Respekt!

Und nun kürzlich, so klein ist die Welt, las ich von einem Buch über das Zeppelin-Arktis-Projekt. Auf dem Titel ist der Zeppelin abgebildet, unverkennbar über Franz Joseph Land. Elektrisiert las ich weiter, das Foto kannte ich, aber man liest doch so selten etwas über Franz Joseph Land, heutzutage noch viel weniger als noch vor einigen Jahren.

Geschrieben hat das Buch: Barbara Schennerlein, die Frau aus der Sedow Station, die das eigentlich gar nicht vorgehabt hatte. Eigentlich, so sagt sie selbst, wollte sie die Geschichte dieser Station aufschreiben, die das auch wirklich wert wäre. Dabei allerdings stieß sie auf den Besuch des Zeppelin, der am 27. Juli 1931 auf seiner Arktisfahrt hier in der Tikhaya Bukhta, der Stillen Bucht der Hooker Insel, wasserte. Was hatte es mit dieser Arktisfahrt auf sich? Schennerlein begann also, sich nicht in die Sedow Station, sondern in die Geschichte dieser Arktisfahrt zu versenken. Dabei hat sie unzählige Archive durchforstet, in Deutschland, Russland und den USA. Entstanden ist ein Buch, das die Geschichte dieser Arktisfahrt vom großen Zusammenhang bis ins allerkleinste Detail beschreibt, und das Ganze auch noch reich bebildert.

Es ist kein Buch, das man auf einmal durchlesen wird, denn es geht in vielen Etappen um die Entdeckungsgeschichte der Inseln, den generellen Stand der arktischen Entdeckung zur damaligen Zeit, um die politischen Verquickungen der Planung und Umsetzung der Arktisfahrt und Vieles, Vieles mehr. Es ist ein unfassbar reichhaltiges, umfassend recherchiertes Buch, das, so denke ich, für Arktis-Enthusiasten, für Interessierte an der Luftfahrtgeschichte der Arktis von A bis Z, von Amundsen bis Zeppelin, ein echter Leckerbissen ist. Barbara Schennerlein hat hier das Ergebnis jahrelanger, sehr aufwändiger Recherchearbeit kondensiert in Buchform gebracht und man merkt dem Buch an, wie viel Arbeit das war.

Die Geschichte ist ein spannender Bericht, von der Planung unter der Gesellschaft Aeroarctic, bis zur Umsetzung im anspruchsvollsten Gebiet der Erde. Hinterlassen hat diese Expedition unzählige Luftaufnahmen, und viele davon sind in dem Buch abgebildet.

Es ist der Verdienst Schennerleins, das all diese Informationen nicht nur in dem Buch gesammelt, sondern dadurch überhaupt erhalten sind. Denn viele ihrer Archivfunde wären irgendwann vielleicht ganz verschwunden, in Schachteln, in Kellern, und dann für immer irgendwo.

Mit dem Buch kann man eine Reise unternehmen, in eine Zeit, die vergangen ist, in ein Land, das es noch gäbe, aber aufs Neue unerreichbar geworden ist. Die Geschichte in dem Buch, sie schreibt sich heute noch fort. Wem am Strand zu heiß wird, der findet hier Abkühlung.

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